Schöpfen als rituelles Handwerk

Mit der Hand ein Wasser schöpfen und hineinsehen. Hineintippen und mit den ausgelösten Wellen einen Gebetsinhalt denken, formen und senden.

In der Oberfläche der Hand sind Innen und Außen ganz dicht beieinander, ganz ineinander verbunden und  wie Traum und Zwischentraum ergänzen Außen und Innen einander ohne Vorrang. Im Schöpfen eines Papieres ist Nehmen und Geben ein fließendes, vom verhaltenen Klang des Wassers instrumentiertes einigendes Tun. Faservolumen, Faserbilder, Fasertexte entstehen während die fluktuierende Gedankentätigkeit immer wieder mit dem Material und dem Handwerk in Einklang gefunden wird. Ich denke, Kunst sei in der Natur, und wer Natur kann zu sich kommen lassen, der hat sie. Im entstehenden Papier stellt sich Natur dar, ähnlich wie in einem für Augenblicke anhaltenden Wolkengebilde. Papierschöpfer sind empfindlich auf Feuchte, für treibende Wellen und rauschende Regenchöre.

Die geschöpften Papiere bilden sich in den Wirbeln des warmen Wassers und des Faserzeugs, in einem bewegten Volumen zur Oberfläche hin. Mit dem Eintauchen und im Herausheben des Siebes durch den milchigen Spiegel der Faseraufschwemmung in der Bütte entsteht auf der Fläche des Siebgewebes das dünne Volumen, die Oberflächen des Papieres.

Die von dem Formdeckel des Schöpfsiebes abgegrenzte Fasermasse verliert das nun abfließende Wassermedium: ein schnelles Ineinanderschwimmen der Fäserchen, ein Ineinanderschlingern, Schlängeln, Schwänzeln, das Zusammenfaseln des Papierfilzes.

Die aufnehmende Geste wechselt dabei in die rhythmische Schüttelbewegung des Papierers mit seinem Sieb. Dieses kurze Geschehen ist ein rituelles Gebärdenspiel, als müsste das Papier zur Vernunft gebracht werden, oder als würde die Bewegung vor und zurück und links nach rechts und rechts nach links die Trennung von Oben und Untern vollziehen und die neue Ordnung bestätigen und befestigen. Geschöpfte Papiere werden da gleichzeitig geboren und getauft: eine Geburt aus dem Becken der Bütte.

In dem Papierfilz ist der Abdruck der Siebseite gleichmäßig von den Rippen oder dem sich kreuzenden Gewebe geprägt und zeigt entschieden den Abschied aus der frei fluktuierenden, vagierenden Faseraufschwemmung in der Bütte, während die offene Seite noch die verebbende Beweglichkeit der treibenden Faser und Füllstoffe erinnert. Schwebende Wirbel und Quirlschleifen scheinen vorläufig angehalten zu werden – und doch aber schon neue Verläufe und Natürlichkeiten zu suchen und anzuziehen: tintige Durchsaftungen, ölige oder puderige Flecken, malerische Aufweichungen.

Der Papiermacher kennt die erhebende Freude, wie in makelloser Empfindlichkeit die  zusammengefaserten Papierfilze auf dem Sieb auftauchen – und er weiß auch, dass sie vertrocknen werden.  Das frische Papiervolumen wird auf einen Wollfilz abgegautscht, davon mehrere zu einem Stapel hochgebaut und unter die Presse gebracht –  zu immer strikterer, strenger Entwässerung. Die Nässe und die Beweglichkeit wird abgepresst und weggetrocknet. Der Faserlappen wird ein Papier.  Und ein Papier, in dem  so dramatisch das Wasser bewegt wurde, mag sein Paradies als das Büttengewässer eines Papiermachers beschreiben. Und eingeschrieben wie ein inneres Wasserzeichen bleibt aus diesem Verlust die Sehnsucht nach dem gelöst treibenden und schwimmenden Möglichkeiten. In den Papieren baut sich die Traumstatt nie endenden Verspieltseins. Der Bewegungshauch der durch das Papier kapillierenden Feuchtigkeit und der durch Lagerung und Trocknung erweckte Klang der Papiere könnten also ein Vorecho und ständiger Lockton sein zu freieren auch längeren Gedanken- und Bilderspielen, zu Formulierungen und Ausdruck.


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