Lernstraße
Universität Stuttgart Vaihingen



Lernstraße Universität Stuttgart Vaihingen
Ralf Kosche und B-R Damerow

Die Lernstraße ist Teil der Grünanlage, die die Universität Stuttgart-Vaihingen durchzieht. Architekten, Ingenieure, Gartenbauer, Konstruktivisten sowie Bild- und Wortspieler fanden sich zusammen, um einen Raum zu schaffen für die Improvisationen der Menschen an der Universität. Die Lernstraße fungiert als Aktionsraum, als soziale Plastik.

Im Rahmen eines 1975 ausgeschriebenen Wettbewerbs entschied sich die Kunstkommission für die Konzeption der Bildhauer Bernd-Rüdiger Damerow und Gerhard Sonns, die sich für die Realisierung des Projekts mit dem Architekten Jo Heber zu der Arbeitsgruppe Kunst und Zwischenraum zusammenschlossen. Das Universitätsbauamt mit den Architekten Ralf Kosche und Hans-Werner Liebert hat die Ideen und Pläne der Künstler mit den Gartenarchitekten des Büros Lutz und Partner, mit der Universität, den Kunstkommissionen und den Baufachleuten moderiert und umgesetzt.

Die Universität liegt am Rande von Stuttgart-Vaihingen zwischen Wald- und Schrebergartenflächen. In diesem grünen Rahmen wirkt die Lernstraße zwischen den stark verdichteten Baumassen eher wie eine städtische Grünanlage mit künstlerischer Naturbehandlung.

In der Lernstraße bildet ein konstruktives Gestaltungsmuster den Rahmen für einen variantenreichen Ausblick auf Natur- und Kunstformen, die Pflanzungen der Gärtner und die Objekte der Künstler. Eine geometrische Grundgestalt und verbindende Rasterung ergibt sich aus den Richtungen und Baurastern der umliegenden Institutsgebäude: den Hauptrichtungen Ost – West und den 45 Grad dazu gewinkelten Querverbindungen. Die Lernstraße schließt an die Bauraster an. Die Pflasterstreifen im Asphalt oder die Fugen der Plattenfelder verlaufen auf die Stützen der Gebäude zu; auch die Größenreihen der Bauelemente sind aufeinander bezogen.
Die gerichteten Flächen werden weiter unterschieden durch Teilungen in eine, zwei oder drei Richtungen. Als kleinste Teile dieser Flächenrasterung wurden spezielle Pflastersteine gegossen, die als Streifenmuster im Asphalt oder als Pflasterflächen mit verschiedenen Fugenmusterungen verlegt wurden.

Den Hauptweg ergänzen verschiedene Nebenwege, Abzweigungen, Anschlüsse, Plätze, Ausbuchtungen und Verengungen. Daß Wege lesbar sind und eine Bedeutung aufbauen, macht sie Wörtern verwandt. So steht im Osten am Anfang der Lernstraße bei der Postschule, eingeschnitten in die Rasenwallarchitektur, das Wort Heu mit langem An- und Abschwung als Pflasterweg aus Porphyr geschrieben. Als Schriftgirlande mit rundlichen Formen durchschneidet das Wort Ei auf dem ersten Platz der Lernstraße von Westen her, bei der Mensa, die geradlinigen Rastergerüste.

Rund sind auch die Augen in den Quadraten der Spielwürfelseiten, die wie zufällig am Anfang des Weges hingeworfen scheinen.

Auf einem quadratischen Vorplatz sind kubische Stühle bzw. Bänke in großen Platten verlegt. Es sind Stühle, über die man geht, die man vielleicht auch übergeht, weil man sie wegen ihrer unverhältnismäßigen Größe schlecht wahrnimmt. Der Rhythmus der Platten mit den drei abgestuften Rottönen wird aber aus zunehmender Distanz aus den Stockwerken des Gebäudes erkennbar.

Das Beton-Holz-Objekt am Rande des Brunnen-Pergola-Platzes unweit der S-Bahn-Haltestelle ist teilweise aus hölzernen Gittern zusammengefügt und steht in formaler Beziehung zu den Hockern und Bänken auf dem Terassen- und Treppengarten zwischen Hörsälen und Mensa. Sie sind architektonische Konstruktionen, Stuhlbauwerke aus Holz, in drei Größen und in drei Konstruktionsarten. Die Laubenhäuser sind Gitterbauwerke auf Betonsockelteilen, durchwachsen von Rank- und Kletterpflanzen.

Von den Parkplätzen zum Walldurchschnitt durchkreuzt ein Weg die Spiel- und Liegewiese: die Isometrie eines stehenden, kubisch gebauten Kreuzes, plastisch zu sehen in drei leicht abgestuften Rottönen aus gegossenen Tartan wie das rote Sportfeld. Hinzu kommen Spielfelder in Rot und Schwarz für Dame oder Schach. Zum Rand hin ist ein aus Kuben und Halbkugeln gebautes, halb verschüttetes, halb aufgedecktes, halb mit Thymian durchwachsenes Sitz-und Duftfeld angelegt.

Gegen die Geradheit des Richtungsrasters schwingt die Kurvenlinie der Lindenkronen, die in dem Solitärbaum oben auf dem Wall endet. Vor dem achteckigen Hörsaal stehen drei verschieden große Hörsaalmodellgerüste aus Beton, die als Rankgerüste für Efeu und wilden Wein dienen. Kletterpflanzen überziehen auch zwei Wände des Hörsaals. Ein bepflanzter Dachbereich verbindet sie miteinander.

Der hochgestaffelte Terrassen- und Dachgarten mit den Grünhäusern, Rankwänden und Bäumen wird durch eine Pergolakonstruktion zum Quadrat ergänzt. Die Quadrate wiederholen sich in den Pergolafeldern, den Außengittern der Grünhäuser und den Sitzflächen der Hocker und Bänke. Vor dem roten Hörsaal stehen Bäume mit rotfärbenden Laub. Die Pergola ist mit rotblühenden Kletterpflanzen bewachsen. Im Rhythmus der Jahreszeiten ergibt das zusammen mit den fein abgestuften Mineralfarben der Betonwände ein immer wieder wechselndes Farbenspiel.
In der Mitte der Lernstraße bildet die Überdachung der S-Bahn-Haltestelle Universität mit ihren konzentrischen Faltungen die Wellen einer Quelle ab. Sie sammelt die Bewegungen zu eingeschnittenen Rund dieses Verkehrsbauwerkes mit seinen breiten Treppenbändern, den zwei Aufzugtürmen, den rückwärtigen Auf- und Abgängen. Einer der Hauptplätze ist der Brunnen-Pergola-Platz vor der Eingangshalle des Instituts für Elektrotechnik und deren Hörsälen. Die Pergola schwingt mit ihrer Balkenkonstruktion in weitem Bogen in die Richtung zum Rund der S-Bahn-Haltestelle und nimmt mit ihrer Dreiecksaufteilung die gerichteten Flächen aus dem Grundmuster der Lernstraße auf. Auf dem Platz entsteht mit dem blauen Glastafelbrunnen, der seine bewegten Bögen spritzt, mit den teils blühenden Rankpflanzen, mit den Bäumen und Bänken eine heitere, entspannende Atmosphäre.

Einen Multimissionar stellte der Bildhauer Jürgen Goertz auf einen Sockel an den Rand der Straße vor den befestigten Wall. Der Architekt und Maler Hans Dieter Schaal konstruierte ein Haus als offenes Bauwerk: Holzgitter bilden die Wände und das Dach; die Bauhülle ist aufgeklappt zu zwei sich öffnenden Teilen. Die Architektur erinnert an die Schreber- und Obstgärten, die hier am Stadtrand früher waren, und im Vorgarten des Laubenhauses finden sich eine Burg Lichtenstein im Modell und eine Armee Gartenzwerge in Reih und Glied, umfriedet mit einem Lattenzaun. Auf dem Pergolaplatz entstanden mit den Objekten und Malereien von Manfred Hülsewig Motive von heiterer Eleganz und spielerischer Leichtigkeit. Ein Paket verbundener Glasplatten, innen blau in vielen Abstufungen, steht über einem flachen Wasserbecken. Aus einer Reihe von Bohrungen strahlen nach beiden Seiten Reihen von Wasserbögen. Im Gebälk der Pergola wird das geometrische Spiel fortgesetzt, schließlich auch in den verspiegelten Leuchtprismen, die das Abend- und Nachtlicht ergänzen.

Die farbliche Gestaltung des Hörsaalkomplexes des Instituts für Elektrotechnik stammt von dem Maler und Farbgestalter Fritz Fuchs. Sie wurden in außergewöhnlich differenzierter Lasurtechnik mit Mineralfarben auf dem Sichtbeton in Rot, Blau und Grün ausgeführt. Die Farbigkeit der Hörsäle findet sich auf den Innenwänden wieder.

Der Maler und Poet Fritz Schwegler unternahm mit seinen Bildern und Sätzen entlang der Lernstraße auf Stützen unter den Gebäuden, an Betonwänden und auf Betontafeln den Versuch, Unsichtbares und Unsagbares in Erscheinung zu bringen. Der Anspruch auf technisches Wissen vergeht im Glanz von sich wendendem und schwebendem Gedanken- und Bilderspiel; die Bilderfolge befreit zu individueller, nicht abgeschlossener Richtigkeit.

Gärten und Parks in Stuttgart
Stuttgart, 1993


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