Claude Simon: Vor ein weißes Blatt Papier

»Eines Abends setzte er sich an seinen Tisch vor ein weißes Blatt Papier. Es war jetzt Frühling. Das Fenster war in der lauen Nacht geöffnet.

Einer der Zweige der großen Akazie, die im Garten wuchs, berührte fast die Mauer, und er konnte die von der Lampe beleuchteten Zweige mit ihren federartigen Blättern sehen, die vor dem Hintergrund der Finsternis leise bebten, die ovalen, vom elektrischen Licht grell grün gefärbten Foliolen, die hin und wieder schwankten wie Federbüschel, plötzlich wie von einer eigenständigen Bewegung durchzuckt, als ob der ganze Baum erwachte, schnaubte, sich schüttelte, und dann besänftigte sich alles, und sie sanken zurück in ihre Regungslosigkeit.«

Claude Simon: Die Akazie
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer,  Frankfurt, 1991

 

»einer von ihnen berührte fast das Haus und wenn ich im Sommer noch spätnachts vor dem offenen Fenster saß und arbeitete konnte ich sie sehen oder zumindest ihre äußersten von der Lampe beleuchteten Zweige mit ihren Blättern wie Federn die vor dem Hintergrund der Finsternis sachte bebten, ihre vom elektrischen Licht unwirklich grellgrün getönten ovalen Foliolen die hin und wieder schwankten wie Federbüsche jäh wie aus eigenem Antrieb durchzuckt (und dahinter konnte man ein allmählich um sich greifendes geheimnisvolles und zartes Raunen vernehmen das sich unsichtbar im dunklen Gewirr der Äste ausbreitete), als ob der ganze Baum erwachte schnaubte sich schüttelte, dann besänftigte sich alles und sie sanken zurück in ihre Reglosigkeit, wobei die ersten auf die das Licht der Glühbirnen fiel sich deutlich abhoben von den weiter entfernten immer schwächer beleuchteten immer undeutlicheren Zweigen die gerade noch zu erkennen dann nur noch zu erahnen dann völlig unsichtbar waren obwohl man sie spüren konnte in ihrer Vielzahl einander kreuzend einander folgend einander überlagernd in den Schichten der Dunkelheit aus der ein leises Rascheln leise Schreie schlafender Vögel drangen die erschauerten zuckten stöhnten in ihrem Schlaf«

»ich habe Licht gemacht Sofort ist die Nacht wieder schwarz undurchdringlich geworden Vor dem Hintergrund der Dunkelheit sind die kleinen ovalen Blätter der Akazie aufgetaucht sich abhebend vom grellem Grün dann immer schwächer beleuchtet in einem schraffierten Gewirr verschwimmend die Schatten der Zweige in der Nähe des Fensters fielen auf die hinter ihnen und immer so weiter sich in der Finsternis verlierend Von Zeit zu Zeit wurden sie von einem schwachen Beben erfaßt das nach und nach um sich griff dann sank alles in seine Reglosigkeit zurück Man sah die Sterne nicht mehr auch den Efeu nicht Dort wo die Strahlen der Lampe sie erreichten hatten die Backsteinreihen ihre Farbe wiedergefunden die Fugen hellgrau dann verloren sie sich drangen in die Dunkelheit ein verschwanden darin jenem imaginären Punkt im Unendlichen zustrebend an dem alles sich trifft verschmilzt zunichte wird Die Zeitungen die ich aufgesammelt hatte bevor ich die Antiquitätenhändlerin hereinließ lagen noch immer auf dem Tisch obenauf die vom Morgen gefaltet auf der Seite«

Claude Simon: Geschichte
Aus dem Fanzösischen von Eva Moldenhauer, Köln, 1999


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